17 Fragen an die Waldorfpädagogik

Wir haben versucht, die 17 häufigsten Fragen zur Waldorfpädagogik übersichtlich und in knapper Form zu beantworten.

Worin unterscheiden sich Waldorfschulen überhaupt von anderen Schulen?

Waldorfschulen wollen intelektuelle, kreative und künstlerische, aber auch praktische und soziale Fähigkeiten bei den Kindern und Jugendlichen gleichmäßig entwickeln. Vom ersten Schuljahr an lernen Waldorfschüler zwei Fremdsprachen. Jungen und Mädchen stricken, nähen und schneidern gemeinsam in der Handarbeit und sägen, hämmern und feilen gemeinsam im Werkunterricht. In jeder 8. und 12. Klasse studieren sie ein anspruchsvolles Theaterstück ein und setzen sich in einer großen Jahresarbeit mit einem Thema ihrer Wahl in Theorie und Praxis auseinander. Die Fächer Gartenbau und Eurythmie sind feste Bestandteile des Lehrplans.

 

Stimmt es, dass es an der Waldorfschule keine Noten und kein Sitzenbleiben gibt?

Auch wenn Waldorfschulen in der Unter- und Mittelstufe auf Noten verzichten, korrigieren die Lehrer selbstverständlich alle Schülerarbeiten. Sie lassen es aber nicht bei dürren Noten bewenden, sondern formulieren individuelle Beurteilungen. In den Zeugnissen gehen die Lehrer ausführlich auf die Lernfortschritte und auf die Persönlichkeitsentwicklungen ihrer Schüler ein. Die Waldorfpädagogik richtet sich nach den Entwicklungsphasen der Kinder und Jugendlichen. Deshalb ist nicht der Wissensstand, sondern die Gesamtentwicklung entscheidend. Von der ersten bis zur zwölften Klasse bleiben die Schüler nach Möglichkeit selbst dann in einer festen Klassengemeinschaft, wenn ihre Leistungen vorübergehend nachlassen. Niemand wird unterwegs sitzen gelassen.

 

Warum haben die Kinder in den ersten acht Schuljahren nach Möglichkeit ein und denselben Klassenlehrer?

In einer Gemeinschaft, die von Beständigkeit und Rhythmus geprägt ist, können Kinder sich gesund entfalten. Um ihnen darin eine verlässliche Stütze zu sein, begleitet ein Waldorf-Klassenlehrer seine Klasse nach Möglichkeit acht Jahre lang durch den Hauptunterricht, der die ersten beiden Stunden eines Schulvormittags umfasst. Dabei lernt er seine Schüler sehr gut kennen und kann individuell auf ihre Stärken und Schwächen eingehen.

 

Kann ein Lehrer in allen Fächern überhaupt qualifiziert unterrichten?

Für Lehrer an Waldorfschulen gibt es eine eigene Ausbildung, die in einem Vollzeitstudium oder auch berufsbegleitend auf die besonderen Erfordernisse des Waldorfschulunterrichts vorbereitet. Klassenlehrer erteilen jeden Morgen in den ersten beiden Schulstunden jeweils ein Fach über mehrere Wochen (Epochenunterricht). Danach übernehmen Fachlehrer den Unterricht in Fremdsprachen, Eurythmie, Religion, Sport, Musik und in den handwerklichen Fächern. In der Unter- und Mittelstufe geht es an der Waldorfschule nicht um die Fülle reinen Fachwissens, sondern darum, dass die Schüler eine lebendige Beziehung herstellen zu dem, was sie lernen, was sie sind und was sie an der Welt erleben. So kann Lernen Freude machen – ein Leben lang.

 

Was ist unter Epochenunterricht zu verstehen?

In den ersten beiden Stunden eines Schulvormittags behandeln Waldorflehrer über mehrere Wochen hinweg ein Fachgebiet. So haben die Schüler zum Beispiel drei Wochen lang jeden Tag zwei Stunden Geschichte, dann wieder drei Wochen lang zwei Stunden Mathematik. Sie können sich auf diese Weise intensiv mit einem Stoffgebiet verbinden. Grundfertigkeiten wie etwa Rechnen oder Schreiben festigen die Schüler über den Epochenunterricht hinaus in fortlaufenden Übungsstunden.

 

Ist es nicht so, dass hauptsächlich Kinder mit Lernschwierigkeiten auf eine Waldorfschule gehen?

Nein. Für Kinder, die Teilleistungsschwächen oder Verhaltensstörungen haben, gibt es – wie im staatlichen Schulsystem auch – besondere Waldorfschulen: die heilpädagogischen Förderschulen. An Waldorfschulen, die nicht ausdrücklich solche Sonderschulen sind, lernen Kinder aller Begabungsrichtungen wie an den staatlichen Regelschulen auch, nur dass hier neben intellektuellen Fähigkeiten auch soziale und handwerklich-künstlerische Fähigkeiten angesprochen werden.

Folgende Zahlen des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2000 haben wir für sie zusammengestellt:

 

 

Staatliche Schulen
 

Waldorfschulen bundesweit
 

Schüler ohne Abschluss:

9,2%

2,6%

Hauptschulabschluss:

 25,4%

 11,7%

Realschulabschluss:

 39,8%

 32,3%

Fachhochschulabschluss:

 1,1%

 6,4%

Abitur:

24,5%

47,0%

 

Stimmt es, dass Waldorfschulen immer sehr große Klassen haben?

Das ist von Schule zu Schule verschieden. Während an manchen Waldorfschulen bis zu 38 Schüler in einer Klasse sind ist bei uns mit Klassenstärken von 20 - 30 Schülern je Doppelklasse zu rechnen. In vielen Fächern werden die Klassen zudem in zwei Gruppen geteilt. Kinder, die sich in einem Fach leichter tun, helfen denen, die es schwerer haben. Schülern, die ganz besonders schnell auffassen, geben die Lehrer schwierigere Zusatzaufgaben. In einer großen Klasse entsteht durch die Vielzahl der unterschiedlichen Persönlichkeiten, Temperamente und Eigenschaften der Kinder über 12 Schuljahre eine soziale Gemeinschaft, in der die jungen Heranwachsenden aneinander lernen.

 

Ohne Noten und ohne Sitzenbleiben: Sind die Kinder dann überhaupt zum Lernen motiviert?

Da der Waldorfunterricht auf die jeweilige Entwicklungsphase der Schüler abgestimmt und sehr lebensnah gestaltet ist, stellt sich dieses Problem nur selten. Initiative entwickeln die Kinder und Jugendlichen nicht aufgrund von Leistungsdruck, sondern aus einer gesunden Motivation heraus.

 

Ist Waldorfpädagogik nicht so etwas wie das Vorgaukeln einer heilen Welt? Kommen die Schüler später denn überhaupt mit der harten Realität zurecht?

Die Praxis zeigt, dass gerade Waldorfschüler von Ausbildern besonders geschätzt werden. In einer Schule, die nicht nur die intellektuellen Fähigkeiten anspricht, können sich Schlüsselqualitäten wie Teamfähigkeit, Kreativität und die Fähigkeit, prozessual zu denken, vom ersten Schultag an entwickeln. Waldorfschüler studieren und arbeiten erfolgreich in allen Studien- und Berufsfeldern.

 

Welche Abschlüsse können an einer Waldorfschule gemacht werden?

Die eigentliche Waldorfschulzeit endet nach der 12. Klasse mit dem Waldorfschulabschluss. Außerdem können Schüler an den Waldorfschulen des Landes Rheinland-Pfalz den Hauptschulabschluss nach der 11. Klasse, den Realschulabschluss nach der 12. und die allgemeine Hochschulreife - das staatliche Abitur - nach der 13. Klasse erlangen.

 

Ist die Waldorfschule teuer?

Obwohl Waldorfschulen erwiesenermaßen besser wirtschaften als Regelschulen, sind sie auf Elternbeiträge angewiesen. Zwar ist im Grundgesetz das Recht auf freie Schulwahl verankert, aber die Zuschüsse der öffentlichen Hand an die Privatschulen sind wesentlich niedriger als die Mittel, die sie für Regelschulen aufwenden. Nachdem die Eltern in Gesprächen die Bedürfnisse der Schule kennengelernt haben, legen sie ihre Beiträge selbst so fest, dass diese einerseits den Notwendigkeiten des Schulbetriebes, andererseits ihren eigenen finanziellen Möglichkeiten entsprechen. Es ist ein Prinzip der Waldorfschule, kein Kind aus finanziellen Gründen abzulehnen.

 

Die Waldorfschulen nennen sich „freie Schulen“. Heißt das, dass die Kinder dort antiautoritär erzogen werden?

Nein. Waldorflehrerinnen und -lehrer bauen im Gegenteil in der Unterstufe ein von „liebevoller Autorität“ geprägtes Verhältnis zu ihren Schülern auf. Kinder suchen ihre Grenzen. Nur wenn sie ihre Grenzen von den Erwachsenen erfahren, fühlen sie sich einerseits sicher und erlebe sich andererseits als eigene Persönlichkeit. Im Laufe der Schulzeit wandelt sich das Lehrer-Schüler Verhältnis mit der Entwicklung der Heranwachsenden.

 

Wie werden die Jugendlichen in der Oberstufe auf die Berufswelt vorbereitet?

Während der ganzen Oberstufe werden die Schüler in allen Fächern von Fachlehrern unterrichtet. Die handwerklichen Fähigkeiten, die sie sich über die gesamte Schulzeit hinweg habe aneignen können, werden von der 8. Klasse an durch mehrere Praktika ergänzt: In einem Landwirtschafts- und einem Forstpraktikum, einem Feldmess-, einem Betriebs- und einem Sozialpraktikum erhalten die Schüler eine ausgesprochen lebensnahe Ausbildungsgrundlage. Dabei liegt der eigentliche Sinn der Praktika nicht in der Berufsfindung, sondern im Erüben sozialer und persönlicher Fähigkeiten.

 

Kommt die Vorbereitung auf die Abschlüsse nicht zu kurz, wenn an der Waldorfschule so viele Praktika stattfinden, Theater gespielt und handwerklich gearbeitet wird?

Es ist richtig, dass diese Aktivitäten zusammen mit dem Lernpensum in manchen Schuljahren eine Doppelbelastung für die Schüler bedeuten. Hier müssen immer wieder individuelle Lösungen gefunden werden. Tatsächlich liegen die Waldorfschulen aber was die Abschlüsse angeht gleichauf mit den staatlichen Regelschulen, meist liegen sie sogar über dem Durchschnitt.

 

Werden die Kinder an der Waldorfschule weltanschaulich unterrichtet?

Die Waldorfschule ist konfessionell nicht gebunden. Zunächst entscheiden die Eltern, welchen Religionsunterricht ihr Kind besucht, später entscheiden die Jugendlichen selbst. Rudolf Steiners geisteswissenschaftliche Erkenntnisse selbst sind zu keinem Zeitpunkt Gegenstand des Unterrichts.

 

Was hat es mit dem Fach Eurythmie auf sich?

Eurythmie ist eine Bewegungskunst, die an Waldorfschulen in allen Klassen unterrichtet wird. Im Unterschied zu gymnastischen, pantomimischen oder tänzerischen Bewegungen, die völlig frei gestaltet werden können, gibt es in der Eurythmie für jeden Buchstaben und jeden Ton eine ganz bestimmte Gebärde. In der Lauteurythmie stellen die Schüler zum Beispiel dar, was in einem Gedicht in Lauten lebt, und in der Toneurythmie, was in den Tonintervallen einer musikalischen Komposition lebt.

 

Spielen die Naturwissenschaften an der Waldorfschule überhaupt eine Rolle? Und wie stehen die Waldorfschulen zum Umgang mit dem Computer?

An der Waldorfschule stehen die naturwissenschaftlichen Fächer gleichgewichtig neben allen anderen Unterrichtsfächern. Das Fach Informatik ist fester Bestandteil an der Waldorfschule, wobei die Pädagogen Wert darauf legen, dass sich die Kinder, bevor sie die virtuelle Welt kennen lernen, mit der natürlichen Welt vertraut machen und ihre sozialen und schöpferischen Fähigkeiten an ihr entwickeln. In der Oberstufe ist der Umgang mit der Soft- und Hardware für jeden Waldorfschüler eine Selbstverständlichkeit.